Trennung als Scheitern und als Chance zum Teil-Frieden

Trennung als Scheitern und als Chance zum Teil-Frieden

Trennung als Scheitern und als Chance zum Teil-Frieden

# Themenschwerpunkt

Trennung als Scheitern und als Chance zum Teil-Frieden

Manche Dinge im Leben versucht man ja zuerst zu verstehen

und im Anschluss handelt man nach den Erkenntnissen,

die man gewonnen hat. Manche Dinge im Leben

passieren einem aber auch einfach und man versucht

dann im Anschluss, sie immer besser zu verstehen. So

geht es mir mit der Erfahrung der Trennung.

Wenn ich hier jetzt über Trennung schreibe, kann man

das im Folgenden partnerschaftlich verstehen. Aber es

gibt ja auch andere Arten der Trennung – in Freundschaften,

im Beruflichen, in Familien. Vielleicht können diese

Gedanken zu verschiedenen Kontexten passen, in denen

Menschen sich trennen.

TRENNUNG ALS SCHEITERN

Der für mich unmittelbarste Impuls, Trennung im Leben

zu verstehen, war, diese als eigenes Scheitern zu erleben.

Als Scheitern eines gemeinsamen Projekts, als

Scheitern eines gegebenen Versprechens, als Scheitern

von Vielem, was ich mir gewünscht und erhofft hatte.

Nach wie vor bleibt diese Deutung auch eine für mich

Wichtige: Ja, ich bin gescheitert. Übrigens längst nicht

nur an dieser Stelle - ich bin schon an ganz Vielem im

Leben gescheitert.

Ich schreibe das hier an dieser Stelle vielleicht so beherzt

hin, weil „scheitern“ für mich nichts Vernichtendes hat.

Noch nicht einmal etwas Verurteilendes. In jedem Fall

nicht als letztes Urteil. Ich würde mich selbst deshalb

auch nicht als „Gescheiterten“ oder gar als „gescheiterte

Existenz“ bezeichnen – so, als ob dies das einzige

oder zumindest das erste wäre, was über mich oder über

jemand anders gesagt werden könnte. Ich glaube aber

schon, dass das Scheitern einfach zum Leben dazugehört.

Nicht jedes Versprechen können wir einlösen, nicht

jedes Vorhaben zu Ende führen und nicht jeder Idee

bleiben wir für immer treu. Unser Leben besteht nicht aus

einer ewigen Folge von Gelungenem. Zumindest mein

Leben nicht. Scheitern können und dürfen heißt für mich

auch, einfach Mensch sein zu dürfen.

Ein Mensch zu sein, der scheitern darf – das kann ich

auch deshalb, weil ich aus der Erfahrung lebe, schon

immer geliebt zu sein (für mich ist die Liebe eins der

schönsten Worte für Gott). Diese Liebe, die mich umgibt,

wird mir immer wieder eine neue Chance einräumen.

Scheitern ist deshalb immer auch etwas Vorläufiges, nie

das Ende von etwas, häufig der Auftakt zu Neuem (wenn

auch mit Tränen).

Insofern kann ich sagen: Ja, ich bin gescheitert. Aber ich

kann das (allerdings erst aus dem Abstand) fast heiter

und versöhnt sagen.

TRENNUNG ALS CHANCE ZUM (TEIL-)FRIEDEN

Etwas anderes ist mir aber ergänzend dazu wichtig geworden. Das Folgende

habe ich im Wesentlichen (einmal mehr) von Fulbert Steffensky gelernt.

Erstmals auf dem Kirchentag 2017 in Berlin bei einer Bibelarbeit von ihm

über die Geschichte der Brüder Jakob und Esau. Später habe ich diesen

Vortrag nochmal in dem Buch „Fragmente der Hoffnung“ nachgelesen, das

mir meine Mutter geschenkt hat. Sie hat ihn um eine persönliche Widmung

für mich gebeten. Bezeichnenderweise hat er vorne in das Buch den Satz

„Nichts muss ganz gelingen.“ geschrieben.

In der Geschichte der beiden Brüder zieht Jakob am Ende weg von Esau.

Ganz ähnlich übrigens wie schon vorher Abraham und sein Neffe Lot, von

denen ebenfalls eine Trennungsgeschichte erzählt wird. Dort heißt es an

einer Stelle wunderbar und zugleich tragisch: „Das Land konnte nicht ertragen,

dass sie beieinander wohnten“. Und so trennen sie sich um des Friedens

willen. Steffensky schreibt: „Es ist nicht nur die Schuld von Menschen,

wenn sie nicht beieinander wohnen können. Es ist auch Tragik. Manchmal

ist das Lebensland zu klein, das Menschen miteinander haben.“ Und so ist

die Trennung gerade die Möglichkeit, Feindschaft zu überwinden, Schwestern

und Brüder (so in dieser Geschichte) zu bleiben und zumindest einen

Teilfrieden zu bewahren.

Warum nur ein Teilfrieden? Muss Versöhnung und Frieden nicht zumindest

irgendwann GANZ erfolgen? Ist ein Teilfrieden etwas wert? Ja, ist er. Nicht

alles im Leben gelingt ganz. Auch die Versöhnung nicht immer. Manchmal

muss man sich mit dem, was zum jetzigen Zeitpunkt oder überhaupt möglich

ist, einverstanden zeigen. Manchmal ist die Hälfte schon viel.

Und so kann ein produktiver Kompromiss auch dazu beitragen, sich überhaupt

im Leben von Gelingens-Zwängen zu verabschieden. Was ist mit

Gelingens-Zwängen gemeint? Nochmal Steffensky: „Die ideologische Überzeugung,

dass uns jederzeit alles möglich ist, das ganze Leben, die ganze

Gesundheit, die ganze Ehe und eben der ganze Friede. Wir sind Fragmente,

ein Leben lang und in allen Angelegenheiten.“

Vielleicht ist das die Kunst: Sowohl mit dem Scheitern als auch mit der

Möglichkeit des Teil-Friedens versöhnt leben zu können. Nicht, weil es

nichts Gelingendes und nichts Ganzes geben kann und darf. Aber weil wir

Menschen sind und „nichts ganz gelingen muss“.

Simon de Vries


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