14/11/2024 0 Kommentare
Trennung als Scheitern und als Chance zum Teil-Frieden
Trennung als Scheitern und als Chance zum Teil-Frieden
# Themenschwerpunkt

Trennung als Scheitern und als Chance zum Teil-Frieden
Manche Dinge im Leben versucht man ja zuerst zu verstehen
und im Anschluss handelt man nach den Erkenntnissen,
die man gewonnen hat. Manche Dinge im Leben
passieren einem aber auch einfach und man versucht
dann im Anschluss, sie immer besser zu verstehen. So
geht es mir mit der Erfahrung der Trennung.
Wenn ich hier jetzt über Trennung schreibe, kann man
das im Folgenden partnerschaftlich verstehen. Aber es
gibt ja auch andere Arten der Trennung – in Freundschaften,
im Beruflichen, in Familien. Vielleicht können diese
Gedanken zu verschiedenen Kontexten passen, in denen
Menschen sich trennen.
TRENNUNG ALS SCHEITERN
Der für mich unmittelbarste Impuls, Trennung im Leben
zu verstehen, war, diese als eigenes Scheitern zu erleben.
Als Scheitern eines gemeinsamen Projekts, als
Scheitern eines gegebenen Versprechens, als Scheitern
von Vielem, was ich mir gewünscht und erhofft hatte.
Nach wie vor bleibt diese Deutung auch eine für mich
Wichtige: Ja, ich bin gescheitert. Übrigens längst nicht
nur an dieser Stelle - ich bin schon an ganz Vielem im
Leben gescheitert.
Ich schreibe das hier an dieser Stelle vielleicht so beherzt
hin, weil „scheitern“ für mich nichts Vernichtendes hat.
Noch nicht einmal etwas Verurteilendes. In jedem Fall
nicht als letztes Urteil. Ich würde mich selbst deshalb
auch nicht als „Gescheiterten“ oder gar als „gescheiterte
Existenz“ bezeichnen – so, als ob dies das einzige
oder zumindest das erste wäre, was über mich oder über
jemand anders gesagt werden könnte. Ich glaube aber
schon, dass das Scheitern einfach zum Leben dazugehört.
Nicht jedes Versprechen können wir einlösen, nicht
jedes Vorhaben zu Ende führen und nicht jeder Idee
bleiben wir für immer treu. Unser Leben besteht nicht aus
einer ewigen Folge von Gelungenem. Zumindest mein
Leben nicht. Scheitern können und dürfen heißt für mich
auch, einfach Mensch sein zu dürfen.
Ein Mensch zu sein, der scheitern darf – das kann ich
auch deshalb, weil ich aus der Erfahrung lebe, schon
immer geliebt zu sein (für mich ist die Liebe eins der
schönsten Worte für Gott). Diese Liebe, die mich umgibt,
wird mir immer wieder eine neue Chance einräumen.
Scheitern ist deshalb immer auch etwas Vorläufiges, nie
das Ende von etwas, häufig der Auftakt zu Neuem (wenn
auch mit Tränen).
Insofern kann ich sagen: Ja, ich bin gescheitert. Aber ich
kann das (allerdings erst aus dem Abstand) fast heiter
und versöhnt sagen.
TRENNUNG ALS CHANCE ZUM (TEIL-)FRIEDEN
Etwas anderes ist mir aber ergänzend dazu wichtig geworden. Das Folgende
habe ich im Wesentlichen (einmal mehr) von Fulbert Steffensky gelernt.
Erstmals auf dem Kirchentag 2017 in Berlin bei einer Bibelarbeit von ihm
über die Geschichte der Brüder Jakob und Esau. Später habe ich diesen
Vortrag nochmal in dem Buch „Fragmente der Hoffnung“ nachgelesen, das
mir meine Mutter geschenkt hat. Sie hat ihn um eine persönliche Widmung
für mich gebeten. Bezeichnenderweise hat er vorne in das Buch den Satz
„Nichts muss ganz gelingen.“ geschrieben.
In der Geschichte der beiden Brüder zieht Jakob am Ende weg von Esau.
Ganz ähnlich übrigens wie schon vorher Abraham und sein Neffe Lot, von
denen ebenfalls eine Trennungsgeschichte erzählt wird. Dort heißt es an
einer Stelle wunderbar und zugleich tragisch: „Das Land konnte nicht ertragen,
dass sie beieinander wohnten“. Und so trennen sie sich um des Friedens
willen. Steffensky schreibt: „Es ist nicht nur die Schuld von Menschen,
wenn sie nicht beieinander wohnen können. Es ist auch Tragik. Manchmal
ist das Lebensland zu klein, das Menschen miteinander haben.“ Und so ist
die Trennung gerade die Möglichkeit, Feindschaft zu überwinden, Schwestern
und Brüder (so in dieser Geschichte) zu bleiben und zumindest einen
Teilfrieden zu bewahren.
Warum nur ein Teilfrieden? Muss Versöhnung und Frieden nicht zumindest
irgendwann GANZ erfolgen? Ist ein Teilfrieden etwas wert? Ja, ist er. Nicht
alles im Leben gelingt ganz. Auch die Versöhnung nicht immer. Manchmal
muss man sich mit dem, was zum jetzigen Zeitpunkt oder überhaupt möglich
ist, einverstanden zeigen. Manchmal ist die Hälfte schon viel.
Und so kann ein produktiver Kompromiss auch dazu beitragen, sich überhaupt
im Leben von Gelingens-Zwängen zu verabschieden. Was ist mit
Gelingens-Zwängen gemeint? Nochmal Steffensky: „Die ideologische Überzeugung,
dass uns jederzeit alles möglich ist, das ganze Leben, die ganze
Gesundheit, die ganze Ehe und eben der ganze Friede. Wir sind Fragmente,
ein Leben lang und in allen Angelegenheiten.“
Vielleicht ist das die Kunst: Sowohl mit dem Scheitern als auch mit der
Möglichkeit des Teil-Friedens versöhnt leben zu können. Nicht, weil es
nichts Gelingendes und nichts Ganzes geben kann und darf. Aber weil wir
Menschen sind und „nichts ganz gelingen muss“.
Simon de Vries
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